Entwachstum - Schurmpftum
Aus dem französischen Begriff "Décroissance". Es geht um eine grundsätzliche Kritik der Konsumgesellschaft und um (Um)Verteilung von endlichen Ressourcen. Weiter so, immer weiter konsumieren führt uns in eine Sackgasse. Es ist Ursache für Ungleichheiten und Kriege um Ressourcen. Ein anderes Gesellschafts- und Wirtschaftssystem muss her! "Décroissance" ist für mich eine konkrete Handlungsoption. Es fängt bei uns als Individuen an. Alle Menschen können durch eine Änderung ihrer Konsumgewohnheiten und Aktionen aktiv zur Decroissance, zu einer anderen Gesellschaft beitragen
la décroissance
Décroissance
Der Begriff "Décroissance"oder "Entwachstum" , "Schrumpftum"
"Décroissance", eine genaue Übersetzung dieses Begriffes gibt es bislang nicht. Das Wort wird aus dem negativen Präfix "Dé" (etwa "ab" oder "ent") und aus "croissance" (Wachstum) abgeleitet. Man spricht von "Wachtumsgegner", von "Wachstumsrücknahme", von "negativem Wachstum"... Was aber nicht genau der französische Begriff entspricht. Der Begriff "Décroissance" wurde erfunden nachdem Begriffe wie "Nachhaltige Entwicklung" ihren Sinn verloren hatten, indem sie von verschiedenen Lobbys übernommen wurden. Der Atom-Stromkonzern EDF wirbt z.B für nachhaltige Entwicklung mit Atomkraft. Der Begriff "Décroissance" ist viel weitgehender und stellt die Konsumgesellschaft grundsätzlich in Frage. Ich plädiere auf Deutsch für das Wort Schrumpftum. "schrumpf" ist etwa der Gegensatz von "wachs". "Tum" wurde eben vom Wort "Wachstum" übernommen. Man könnte auch "Entwachstum" wählen. Post-Wachstum und co sind Begriffe die ich dagegen nicht passend finde. Oft wird der englische Begriff, der dem französischen ähnelt, verwendet: "Degrowth".
Schrumpftum / Entwachstum, worum geht es?
In so genannten entwickelten Gesellschaften wird viel Wert auf materiellen Gegenstände gelegt, ohne dass hinterfragt wird, ob diese Gegenstände wirklich nützlich und unverzichtbar sind. Wer Geld hat und vieles besitzt ist guter Bürger. Die Wirtschaft profitiert davon. Die gesellschaftliche Ordnung basiert auf Wachstum und Anhäufung von Waren und Kapital.
Aber der ewige Wachstum ist nicht möglich. Wir leben in einer endlichen Welt. Die Grundressourcen sind begrenzt. Wachstum- und Kapital-Sucht führen zur Ungerechtigkeit, zur Ausschöpfung der Ressourcen, zu Umweltzerstörung und Krieg um besagten Ressourcen (wie z.B. Öl). Das sind die Grundgedanken, die Menschen dazu bewegen für die "Décroissance" zu kämpfen. Es geht darum weniger zu konsumieren und anders zu leben: gemeinschaftliche Wohnformen mit gemeinschaftlicher geteilter Infrastruktur, keine Flüge ans ans andere Ende der Welt in den Ferien, Verzicht auf ein eigenes Auto im Alltag (Stichwort Carsharing). Sie kaufen aus der Gegend stammenden Produkte. Menschliche Kontakte ersetzen materielle Sachen wie Fernseher. Sie basteln selbst (Mensch kann ja selbst gebackene Kuchen zu Weihnachten schenken, statt alles zu kaufen). Ihnen ist es auch wichtig miteinander auszutauschen und ihre Ideen nach Außen zu tragen. In Juni 2005 (und die Jahren danach) fand zum Beispiel eine 1-Monat lange Marsch für die Décroissance durch Frankreich statt. Hunderte sind von Dörfern zu Dörfern gewandert und haben die Gelegenheit genutzt mit der Bevölkerung ins Gespräch zu kommen. Es gibt in Frankreich zahlreiche Zeitschrifte wie "Casseurs de pub" (Werbungsbrecher), "La décroissance", etc... In Deutschland hat sich die Reflexion zu diesem Thema in den letzten Jahren bei Degrowth-Konferenzen oder der "Degrowth Summerschool" rasant entwickelt. Das Thema ist inzwischen Bestandteil vom umweltpolitischen Protest.
Direkte offene Aktionen des zivilen Ungehorsams auf der Strasse sind auch wichtig, um die Bevölkerung zu informieren und zum Nachdenken zu bringen. "Adbusting" oder "Containern" gehören dazu. Genauso wie Second-Hand, Kleiderkammer, Umsonst- und Tauschläden, Tauschringe,etc.
Ein paar Links
Interview mit Elisabeth Moy zur praktischen Umsetzung von "Décroissance", erschienen 2009 in der Zeitschrift "Grünes Blatt".
Ausgabe der Zeitschrift Anti-Atom-Aktuell 204-205 zum Thema Klimagerechtigkeit und Wachstumswahn
Deutsche Degrowth-Seite
Vive la crise TAZ-Artikel aus dem Jahr 2009 über Décroissance
"Antipub" oder "Adbusting"
Was ist "Adbsuting?"
Die französische "Antipub" Bewegung (Werbungsgegner) übt durch direkte Aktionen (Adbusting, Kauf Nix Tag, ...) vielfältigen Widerstand gegen die Wachstumideologie und den Konsumwahn aus. Webetaffeln werden verändert, "Konsummessen" (Straßentheater) veranstaltet,"Untreuekarten" in geschäften verteilet, etc.
Die Wurzel meines politischen Engagements sind in der französischen Antipub-Bewegung zu suchen. Als Wirtschaftsstudentin (Schwerpunkt internationale Wirtschaft) habe ich mich damals für die Ideen der Schrumpftum und der Konsumkritik besonders interessiert. Durch mein Studium habe ich mich mit den Mechanismen von (internationaler) Wirtschaft, Kapitalismus, Liberalismus näher beschäftigt. Mir war schnell klar, dass die Wachstumideologie "immer mehr", zur sozialen und ökologischen Sackgasse führt. Krieg um Ressourcen, Ausgrenzung, etc.
In Frankreich war zu dieser Zeit die Antipub-Bewegung besonders stark, wie aus den Berichten aus den Jahren 2003-2005 (siehe unten) zu entnehmen. Sie hier heute immer noch aktiv. Aktionen gegen Werbung sind eine Möglichkeit gegen den Konsumwahn zu kämpfen und auf die Verschwendung von Ressourcen aufmerksam zu machen.
Ein paar Links
Diverse Indymedia-Aktionsberichte: Konsum- und Wachstumkritik in Frankreich vom 17.12.2005 ; Ziviler ungehorsam gegen Werbung in Frankreich vom 04.05.2005 ; Aktionen gegen Werbung in Frankreich vom 02.12.2003
kreativer Strassenprotest (Deutsch)
Brigade anti-pub in Frankreich
Containern
Was ist Containern? Warum containern?
Containern ist eine Praxis, Lebensmittel kostenlos zu organisieren, die mittlerweile innerhalb verschiedenster Szenen genutzt wird. Dabei werden Produkte angeeignet, die in der kapitalistischen Verwertung abfallen, da sie geringe Normmängel haben oder bei denen das Mindestverkaufs- resp. Mindestverkaufshaltbarkeitsdatum bald abläuft und in der Folge nicht mehr regulär verkauft werden dürfen. Da das Mindestverkaufsdatum jedoch meist sehr eng gesteckt ist und lediglich angibt, bis wann der Hersteller den regulären und somit kommerziellen Verkauf von Lebensmitteln zuläßt, damit keinerlei sichtbare, geschmackliche oder andere Qualitätseinbussen zu erwarten sind, lassen sich Lebensmittel 'auf jeden Fall' ohne wesentliche Geschmacks- und Qualitätseinbußen sowie gesundheitliches Risiko auch über das Mindestverkaufs- resp. Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus verzehren.
Erkömmlicherweise wird ein Mensch durch ökonomische Realitäten zum Containern gezwungen. In den 90er Jahren entsprang der Antiglobalisierungs- und Erdbefreiungsbewegung dann der Freeganismus, ein Anti-Konsum-Lebensstil, der das Containern als politisches Statement verbreitete.
"Es geht darum, ein Überleben zu sichern, ohne die konventionelle Wirtschaft zu unterstützen und ein Minimum an Ressourcen zu verbrauchen. Freegane Grundsätze sind Großzügigkeit, Solidarität, Freiheit, Kooperation und Teilen - sie stehen im krassen Gegensatz zu den Prinzipien unserer Gesellschaft, wie Materialismus, moralische Apathie, Wettbewerb, Konformität, Gier..." Quelle: http://dumpsterdivech.blogspot.com/
Containern ist auch Teil einer ökologischen Bemühung um einen Lebensstil, für den möglichst wenige Ressourcen aufgewandt werden, denn die weggeworfenen Güter sind aus dem Verwertungskreislauf der kapitalistischen Volkswirtschaft ausgeschieden; ihre Produktion wird nicht unterstützt. Mit diesem Argument wird auch der vegane Anspruch hinter dem Containern gestützt: während Tonnen von Tierprodukten weggeworfen werden, ist der Gebrauch oder Verzehr dieser Produkte nicht mit ökonomischer Gratifikation verbunden. Das Prinzip des Veganismus als Boykott von Tierprodukten lässt sich so erfüllen. Kritisch hingegen sind viele Tierrechtsaktivist_Innen gegenüber der Tatsache, dass gegen Aussen gewissermassen der Eindruck vermittelt wird, dass der Konsum von Tierprodukten unproblematisch sei.
In Deutschland kann selbst Abfall noch einem Eigentümer zuzurechnen sein, so dass diese Handlung rechtlich ein Diebstahl ist. Bei Entdeckung durch Mitarbeiter wird allerdings meist nur ermahnt, zumal sich die nur selten eingeschaltete Polizei wenig für einen Diebstahl von „wertloser“ Ware interessiert. Trotzdem ist Vorsicht geboten, denn viele Supermarktbetreiber_Innen o.ä. befürchten Gewinneinbussen durch Dumpsterdiver_Innen, weswegen sie dafür sorgen werden, dass es beim nächsten Mal nicht so einfach ist, sollten sie Hinweise für eine solche Aktion entdecken.
Ein paar Links
Hintergründe
lebensmittelvernichtung.de.vu und deu.anarchopedia.org/Containern
Filme und Bilder:
tastethewaste.com und container.blogsport.de
Der Keksprozess in Lüneburg
Karsten stand 2012 in Lüneburg wegen "Containern" vor Gericht. Er wurde ihm vorgeworfen, abgelaufene Kekse aus einer Mülltonne genommen zu haben und dabei Hausfriedensbruch begangen zu haben. Der Prozess sorgte spätestens in der Berufungsinstanz für Aufregung. Das Thema war durch den Film "taste the waste" auf dem Medienagenda gekommen. Viele Menschen zeigten sich über den absurden Prozess empört. Zumal Karsten während des Prozess wegen einer anderen Sache festgenommen wurde und für eine Woche wegen älteren Bußgeldern, die er nicht bezahlten konnte und wollte, in Erzwingungshaft gesteckt.
Ich habe in meinem Blog zahlreiche Berichte zum Keksprozess geschrieben. In meinem Buch gibt es eine Kurzgeschichte zu diesem Gerichtszirkus.