Repression - Baumklettern

knastlogo

Das Thema Repression ist umfangreich und wenn man sich politisch engagiert wird man schneller als man denkt damit konfrontiert! Und es kann sehr skurrile absurde Formen annehmen!

Ich lebe in Lüneburg. Dort gibt es eine städtische Satzung, die äußerst selten zur Anwendung kommt. Aber wenn die Behörden partout nach einem Gesetzesparagrafen suchen... dann gefährdet Baumklettern die öffentliche Sicherheit und Ordnung! Baumklettern ist deshalb in Lüneburg verboten und stellt eine Ordnungswidrigkeit dar - genauso wie sitzen auf Stromkasten, liegen auf Banken, etc. Verfolgt, wird dies aber augenscheinlich nur wenn die "Täter*innen" politische Ziele verfolgen.

Ich habe in der Vergangenheit mehrere Verfahren wegen Baumklettern am Hals gehabt. Das erste mal habe ich das Wort "Ordnungswidrigkeit" gelernt, es ging um das Aufhängen eines Protestbanners in einem Baum bei einer Antiatom-Demo. Ich habe das Verfahren mit Anwalt geführt und wurde zu 50 Euro Bußgeld verurteilt.

Beim zweiten mal ging es um eine Baumbesetzung gegen ein Verkehrsprojekt und um luftigem Protest gegen einen Naziaufmarsch - der Aufmarsch wurde umgeleitet weil zwei Frauen mit einem Banner "Nazidreck weg" in den Seilen über der Strasse tanzten. Ich habe mich selbst verteidigt, nachdem ich den ersten Prozess als Entmündigung durch den Anwalt und das Gericht erlebt hatte. Ich hatte inzwischen an Prozesstrainings teilgenommen. Vor dem Prozess fanden darüber hinaus Aktionstage statt, viele Bäume und Laterne wurden mit Transparenten geschmückt. Nach zwei Stunden Gerichtsverhandlung hatte der Richter keine Lust mehr. Das Verfahren wurde auf Staatskosten eingestellt.

Seitdem ist Ruhe im Schach, es kommt vor, dass ich Bußgeldbescheide bekomme, zu Gerichtsverhandlungen kam es aber nicht mehr, die Verfahren wurden eingestellt. Habe mir sozusagen das Recht in Lüneburg auf Bäume zu demonstrieren erkämpft:-) Wehrt euch, leistet Widerstand! Es lohnt sich. Und kann durchaus Spaß machen.

Baumklettern-Seite auf meiner alten Homepage

Die Baumklettern-Verfahren sind ein paar Jahre her. Ich hatte die Verfahren (Gerichtsschreiben, Gerichtsverhandlungen, Aktionen, etc. ) auf meiner Homepage dokumentiert.

répression - procès pour grimpe politique dans les arbres

Baumklettern gefährdet Ihren Atomstaat

Text über die Lüneburger Baumklettern-Verfahren aus meinem Buch "Kommen Sie da runter" 2014 im Verlag Graswurzelrevolution erschienen.

An einem eisigen Dezembertag gingen seltsam bekleidete Menschen durch die Lüneburger Innenstadt. Inmitten der Fußgängerzone versuchten direkt vom Mars entsandte JournalistInnen, das für sie unverständliche Verhalten der Erdlinge zu entschlüsseln. Für MarsianerInnen haben Begriffe wie »Sicherheit« oder »Macht« keine Bedeutung. An jenem Tag ging das Team der Frage nach, weshalb es in Lüneburg verboten sei, auf Bäume zu klettern, das Fällen derselben aber erlaubt sei. Hintergrund waren Meldungen über eine anstehende Gerichtsverhandlung wegen Baumkletterns.

Immer wieder verwiesen PassantInnen auf eine städtische Verordnung zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung. Die Bedeutung dieser Begriffe und den Nutzen einer solchen Verordnung konnte niemand wirklich erläutern. Das Team von Mars-TV wurde zum Ordnungsamt geschickt. Weil das Wort Ordnung in der Bezeichnung des Amtes steht, müsste es ja die Fragen beantworten können. Doch auch dort konnte die Frage nach dem Sinn dieser Verordnung nicht abschließend geklärt werden. Der Chef vom Amt zeigte sich nämlich wenig gesprächsfreudig und litt an Wahrnehmungsstörungen, das Möhren-Mikrofon des Teams hielt er für eine Wurst – die Teammitglieder waren aber VeganerInnen. So wird immer noch darüber gerätselt, warum es einen Planeten gibt, auf dem das Klettern in Bäumen und das Liegen auf Bänken verboten sind.

Bei einem weiteren Rundgang durch die Stadt fiel dem Team auf, warum der Chef vom Ordnungsamt zuvor etwas gereizt auf die Fragen reagierte: Bei genauem Hinsehen konnten zahlreiche Transparente in verschiedenen Bäumen festgestellt werden, die Hebebühne, mit dessen Hilfe die Transparente entfernt werden sollten, kam kaum hinterher. »Baumklettern gefährdet den Staat«, stand darauf. Selbst der Weihnachtsbaum auf dem Marktplatz wurde bestiegen! »Politisches Engagement kann zu Repression führen«, stand auf dem Banner. Doch auf Befragung durch das Team stellte der Täter in Abrede, gegen die Verordnung verstoßen zu haben: Der 8 Meter hohe Weihnachtsbaum sei im Sinne der städtischen Verordnung kein Baum, sondern ein Möbelstück, er habe ja keine Wurzeln. Zur Polizeiwache wurde er trotzdem mitgenommen – mit Martinshorn und Blaulicht.

Menschen, die ihren Weihnachtsschmuck in einer Höhe von über zwei Metern im Garten aufgehängt hatten, erhielten ihrerseits Post von der Stadt. Das Amt für ›Law and Order‹ warf ihnen vor, gegen den Absatz 4 der Verordnung der Stadt Lüneburg über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOV) verstoßen zu haben. Demnach ist es verboten, auf Straßen »zu liegen oder zu übernachten, auf Abgrenzungsmauern, Bänken und Stühlen, soweit sie auf öffentlichen Straßen stehen, zu liegen oder zu übernachten, Straßenlaternen, Lichtmasten, Feuermelder, Notrufanlagen, Denkmäler, Brunnen und Bäume zu erklettern.« Weitere Vorwürfe waren nicht entfernte Eiszapfen, zu kontrastarme Hausnummern oder ähnlich absurde Regelverstöße. In einem weiteren Schreiben wurden die EinwohnerInnen außerdem aufgefordert, auch Kinder und Katzen in Zukunft nicht mehr unbeaufsichtigt zu lassen, da sonst die Gefahr bestünde, dass diese klettern würden, und dann weitere Menschen zur Rettung der Kinder und Katzen genötigt würden, ebenfalls gegen die städtische Verordnung zu verstoßen.

Das alles sei eine Fälschung, behauptete ein Stadtverordneter. In einem Zeitungsartikel vermutete das Ordnungsamt sogar eine Kampagne gegen sich. Grund dafür waren neben den aufgetauchten Schreiben der Stadt auch kritische Parolen an den Wänden einiger die Macht und Ordnung repräsentierenden Gebäude. Doch als am Tag darauf einer Aktivistin der Prozess wegen Baumkletterns gemacht wurde, brachten diese in der Zeitung zitierten Äußerungen den Richter in Verlegenheit. Einen Antrag der Betroffenen, der sich auf die Aussage in der Zeitung bezog, stellte der Richter zunächst zurück. Die Anklage beruhte ausschließlich auf der in der Zeitung als Fälschung deklarierten städtischen Verordnung. Der Aktivistin wurde vorgeworfen, den Baum aus Protest gegen Baumfällungen und die AUTOritäre Stadtpolitik erklommen zu haben. Außerdem war sie zusammen mit einer weiteren Künstlerin zwischen zwei Bäumen über der Route eines geplanten Neonazi-Aufmarsches als Seilartistin in Erscheinung getreten. Der Aufmarsch wurde daraufhin umgeleitet. Nach anfänglichen Streitereien um die Einlassung der Betroffenen, die das Lied »Mein Freund, der Baum« abspielte, ging der Richter einer weiteren Auseinandersetzung um das Baumklettern aus dem Weg. Nach 90-minütiger Verhandlung stellte er das Verfahren ein. Über den Antrag der Betroffenen, zu beweisen, dass die städtische Verordnung – wie vom Stadtverordneten behauptet – eine Fälschung ist, wurde nie entschieden – auch nicht in späteren Verfahren. Das Gericht hatte offensichtlich keine Lust mehr, sich mit einem derartigen Verfahren erneut zum Affen zu machen.

Die FreundInnen vom Mars und weitere Nacht- und Nebel-AktivistInnen haben dazu beigetragen, dass in Lüneburg das Recht auf Baumbesteigung erkämpft wurde! Auf dem Papier gefährdet Baumklettern weiterhin den Staat. Die städtische Verfügung gibt es im Internet zum Nachschlagen. Doch BaumkletterInnen juristisch zu verfolgen und ihnen dadurch eine Bühne für kreative politische Aktionen zu bieten, gefährdet den Staat anscheinend noch mehr. Die Rechtsgüterabwägung spricht für das Baumklettern.

Quellen:

Aktenzeichen: 34 Owi 5103 Js 7072/08 (267/08) – Amtsgericht Lüneburg

Städtische Verfügung der Stadt Lüneburg:

nach oben - vers le haut